Ulla Schmidt und Ulla Meyer-Raven sind seit Jahrzehnten Mitglieder der Göttinger DRK-Schwesternschaft Georgia-Augusta e.V. und im Sommer 2021 in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. In einem gemeinsam verfassten Artikel blicken die beiden zurück auf über 45 Jahre Erfahrung in der Kinderkrankenpflege, und ziehen ein Resümee ihrer jahrzehntelangen Zusammenarbeit und Freundschaft.
„1. April 1974 / 1975, Humboldtallee 38, der 1. Tag in der Kinderklinik Göttingen. An diesem Tag haben wir unsere Ausbildung in der DRK-Schwesternschaft Georgia-Augusta e.V. für Kinderkrankenpflege begonnen. Eingekleidet im Mutterhaus im Nikolausberger Weg mit grauem Kleid, weißer und blau-weiß gestreifter Schürze und zwei weiß gestärkten akkurat gefalteten Hauben, die nur mit etlichen Haarklemmen befestigt werden konnten. Dazu ein blauer Wollmantel für kalte Tage. Nicht zu vergessen – die Brosche. So begann unser erster Tag.
Wir waren Erstkursschülerinnen und blickten ehrfürchtig auf den zweiten und dritten Kurs. Wir mussten alle Stationen der Kinderklinik durchlaufen, angeleitet von erfahrenen Kinderkrankenschwestern und Schülerinnen. Immer unter strenger Beobachtung unserer Oberin und den Unterrichtsschwestern, die mit uns gemeinsam im Wohnheim gewohnt haben. Trotz allem hatten wir immer das Gefühl, dass wir eine große Gemeinschaft waren. Jeder kannte jeden und alles war vertraut. Wir waren ja auch fernab des großen Betriebs der Universitätsklinik. Die Kinderklinik war ein eigenständiges Gebäude, heute ist sie in die UMG (Universitätsmedizin Göttingen) integriert.
Tägliches Improvisieren
Unsere Wahl nach der Ausbildung fiel auf die Neonatologische Intensivstation, welche sich noch im Aufbau befand. Wir durften teilhaben an beachtlichen Entwicklungen in der Früh - und Neugeborenen Pflege und Medizin. Bei vielen Dingen musste noch improvisiert werden. Der erste CPAP (Atemhilfe) war noch selbstgebastelt, Beatmungsgeräte mussten den Bedürfnissen der Säuglinge in „Eigenregie“ angepasst werden. Behandlungsmethoden, die heute selbstverständlich sind, wurden entwickelt: Unter anderem Theophyllin-Gaben bei Apnoen, Surfactant bei Lungenunreife, Cortison zur Sauerstoffentwöhnung, die ersten ZVKs (Silastic-Katheter) oder die Messung des O2 Gehaltes über die Haut. Heute ist der Einsatz von Hightech
Medizin in der Früh- und Neugeborenenversorgung fest etabliert, die Überlebenschancen haben sich deutlich verbessert.
Für die Eltern gab es nur kurze Besuchszeiten, die Pflege fand nach einem festen Zeitplan statt. Den Bedürfnissen der Kinder wurden erst nach und nach mehr Beachtung entgegengebracht (Minimal Handling). Viel Zeit hat das Putzen und Aufarbeiten von Material und Geräten in Anspruch genommen – Tätigkeiten, die heute überwiegend von anderen Berufsgruppen übernommen werden.
Die Dienstzeiten zur damaligen Zeit sind heute unvorstellbar: 12 Stunden-Nachtdienst (14 Nächte!), geteilter Dienst, als Schülerin allein auf Station. Viele Gegebenheiten von damals haben sich positiv verändert. Wir wissen heute, wie wichtig es ist, dass Eltern von Anfang an sehr viel mehr angeleitet und in die Pflege mit einbezogen werden müssen (Bonding). Die zusätzliche Betreuung der Eltern oder Familienangehörigen wurde seither zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit. Das ist jetzt 46 oder 47 Jahre her. Ja, man soll es kaum glauben. Mit kurzen Familien- und Erziehungszeiten waren wir bis zum Ruhestand in der Göttinger Kinderklinik tätig und Mitglied in der DRK-Schwesternschaft Georgia-Augusta gewesen – da, wo alles begann.
Erfahrungen in unterschiedlichsten Bereichen
Wir haben in unserer beruflichen Laufbahn, teils gemeinsam, teils getrennt viele unterschiedliche Bereiche kennengelernt und Erfahrungen gesammelt: Auf der Früh- und Neugeborenen Intensivstation, der Interdisziplinären Kinderstation oder der Onkologie, als Stationsleitung, in Krankenpflegeschulen oder in der Innerbetrieblichen Fortbildung. Fort- und Weiterbildungen waren und sind stets ein
wichtiger Baustein in unserem Berufsleben gewesen. Diese wurden durch unsere Schwesternschaft gefördert und unterstützt.
"Kinder sind keine kleinen Erwachsenen"
Seit 2020 gibt es keine spezielle Ausbildung mehr zur Kinderkrankenschwester/pfleger. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sondern haben besondere Bedürfnisse, denen in einer generalisierten Ausbildung, wie sie seit 2020 existiert, unserer Meinung nach nicht genug Beachtung geschenkt werden kann. Pflege am Krankenbett bedeutet auch immer Teamarbeit mit Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen. Uns war diese Zusammenarbeit immer wichtig, auch notwendig, und in der Kinderklinik wird diese Kultur gelebt. Wir sind dankbar für all unsere Erfahrungen und Begegnungen.
Heutzutage führen der Zeit- und Leistungsdruck, schlechte Bezahlung und mangelnde Anerkennung leider dazu, dass die Verweildauer in unserem Beruf deutlich rückläufig ist. Diesbezüglich wünschen wir uns, dass Politik und Gesellschaft ihren Beitrag dazu leisten, um die Bedingungen zu verbessern.
Vor allen Dingen sind wir dankbar für unsere jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft, die uns auch weiterhin verbinden wird.
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